Lectio Divina – besser Bibel lesen

Bibeltexte in Kleingruppen oder Hauskreisen tiefer verstehen 

Hast du dich auch schon einmal gefragt, wie du neuen Tiefgang in deine persönliche Zeit mit Gott, aber auch in deine Kleingruppe oder deinen Hauskreis bekommst? Wie du Bibeltexte nicht nur (über)liest, sondern wie du sie ganzheitlich verstehen, aufnehmen, umsetzen kannst? Vielleicht kennst du das auch: Du setzt dich hin, liest ein Kapitel oder auch ein paar Verse in der Bibel und danach fühlt es sich an, als hättest du nichts gelesen, weil du in deinen Gedanken bei den Erlebnissen oder To-dos des heutigen Tages bist. Ich jedenfalls kenne das. Doch in mir lebt eine Sehnsucht, das Bibellesen nicht nur als Punkt auf einer To-do-Liste für fromme Christen zu sehen, den ich abhaken will … 

  • Nett sein (Check) 
  • Bibel lesen (Check) 
  • Beten (Check) 

…, sondern wirklich Gott zu begegnen! 

Ich glaube auch, Gott geht es nicht darum, dass du deinen inneren Hunger nach Begegnung mit ihm durch ein von außen betrachtet christliches Handeln stillst. Ihm geht es doch gerade um das, was ich so leicht verpasse (und vielleicht geht es dir ähnlich): Die innere Veränderung in der Beziehung mit ihm, die dann nach außen strahlt. Die Herausforderung dabei ist es, Raum für diese Begegnung zu schaffen in einem Jahrhundert, in dem Ablenkung und Schnelligkeit die Gedanken so leicht weg zu anderen Dingen ziehen, die unseren Fokus mehr auf Äußeres legen.  

Doch wie kannst du nun gewinnbringend die Bibel lesen, sodass es dich in Begegnung mit Gott führt?  Ich persönlich jongliere zwischen Abwechslung und Routine: Abwechslung, um nicht immer auf die gleiche Art meine Zeit mit Gott zu verbringen oder die Kleingruppentreffen zu organisieren. Routine, um nicht jedes Mal neu überlegen zu müssen, was ich wie mache und um mir die Macht guter Gewohnheiten zunutze zu machen. 

Eine große Hilfe dafür ist ein „Werkzeugkoffer”, in dem sich verschiedene Möglichkeiten finden, wie man Bibeltexte lesen, verstehen und anwenden kann. So ein Tool oder Werkzeug ist das „betende oder meditierende Bibellesen“, auch Lectio Divina genannt (lateinisch für „göttliche Lesung“). Die Lectio Divina kannst du persönlich in deiner Zeit mit Gott oder auch gemeinsam mit deiner Kleingruppe oder deinem Hauskreis anwenden.  

Kurzer Exkurs: Viele Anregungen dazu gibt es in unterschiedlichen Büchern zum kontemplativen Gebet. Bei der Kontemplation geht es um das Sein bei Gott, das (stille) Betrachten seiner Schönheit. Das klingt leicht, ist es aber oft nicht, weil das stille Betrachten gegenüber dem schnelllebigen Scrollen, Liken, Werbung überspringen, weiterscrollen langweilig und ungewohnt klingt, oder? Doch genau das hat mein Leben (und das vieler anderer) unglaublich verändert und tut es immer noch. 

 Meine Inspiration für diesen Blogartikel ist das Buch „Gebet als Begegnung“ von Charles Bello und Kristian Reschke. Bei der Lectio Divina geht es darum, Freiraum zu schaffen, um Gott zu begegnen und ihn die Unterhaltung führen zu lassen. Der Fokus liegt dabei auf dem Betrachten eines kurzen Bibelabschnitts, durch den Gott zu dir und zu uns reden will. Im Gegensatz zur Quantität (möglichst viele Verse in der Bibel lesen) hebt die Lectio Divina den Schatz einzelner Worte und erforscht ihre die Bedeutung im TextEs geht also eher um Qualität als um Quantität, um Entschleunigung und Begegnung als um Wissensanhäufung. Schon etwa seit dem 3 Jh. n.Chr. wurde die Lectio Divina praktiziert, früher vor allem von Mönchen in Klöstern. Die Methode, die heute unter Lectio Divina bekannt ist, wurde im 12. Jh. niedergeschrieben. Im Folgenden gebe ich eine Praxisanleitung, die für dein persönliches Bibelstudium geschrieben ist, aber erfahrungsgemäß ebenso gut in Gruppen funktioniert. Hilfreich ist es, wenn du die Lectio Divina ein paar Mal alleine eingeübt hast, bevor du sie in der Gruppe anwendest. 

Die Lectio Divina für zuhause – ein Praxisbeispiel:  

1. Mach dich bereit (5 min) 

Suche dir einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit, lass alles andere liegen und räume der Lectio Divina höchste Priorität ein. Mach dir das zu einer Gewohnheit, damit es nach dem Lesen dieses Blogbeitrags nicht nur bei einer netten Idee bleibt. 

Wann ist deine „Prime Time“? Morgens vor der Schule, Uni, Arbeit, der Bewältigung des Haushaltschaos? Oder abends statt Netflix, Instagram, Tiktok & Co, um nach einem vollen Tag so richtig zur Ruhe kommen? Wo gelingt dir das am besten? Im Wohnzimmer, am Schreibtisch, im Bett oder auf der Bank im Garten oder im Park?  

Mach dich bereit – denn Gott ist es wert. Genau wie Noah die Arche in Vorbereitung auf die Sintflut baute (vgl. 1 Mose 6), wie Elia den Altar vorbereitete, auf den Gottes Feuer fallen sollte (1 Kön 18), und wie die Jünger nach Jesu Himmelfahrt beteten und dann den Heiligen Geist empfingen (Apg 1-2): Es ging in all diesen Situationen um die Bereitschaft, von Gott zu empfangen. Dieses Prinzip der inneren Bereitschaft ist ausschlaggebend für alles, was auch bei der Lectio Divina passieren soll. 

Nachdem du dich bereitgemacht und deinen ablenkungsfreien Platz eingenommen hast, wählst du eine kurze Passage aus der Bibel aus. Ein bis vier Verse reichen vollkommen, denn ein einziges Wort Gottes kann dir mehr offenbaren als das Studium hunderter Bücher. Werde still, äußerlich und in Gedanken, und bitte Gott um seine Begegnung.

In deiner Kleingruppe: Du als Leitender suchst im Vorhinein eine Textstelle aus. Durch das Stillwerden ermöglichst du jedem Einzelnen, sich für die Begegnung mit Gott bereit zu machen und alle Gedanken und Sorgen des Tages abzulegen. Bereitschaft bedeutet an der Stelle auch, alle Handys wegzulegen und Benachrichtigungen auszuschalten.

2. Lectio – Lesen (5 min) 

 Im ersten Schritt, der sich mit dem Text befasst, liest du den Text. Langsam, leise, laut, mit unterschiedlichen Betonungen. Was sagt der Text aus und um was für eine Art von Text handelt es sich? In welchem größeren Zusammenhang steht er? Wie spricht der Text von Gott, vom Menschen? Welche Wörter wiederholen sich? Gibt es eine Stelle, die dich besonders anspricht?  

Lectio bedeutet: voll Ehrfurcht lesen – hörend und bewundernd. 

In deiner Kleingruppe: Lest den kurzen Vers oder Textabschnitt mit unterschiedlichen Stimmen, Übersetzungen, Betonungen und lasst den Text auf euch wirken. Danach nimmt sich jeder noch einmal Zeit, die Worte genauer zu betrachten.

3. Meditatio – Im Herzen bewegen (10 min) 

 Der zweite Schritt ist das Meditieren, Im-Herzen-Bewegen und Bedenken. Nach dem Lesen geht es konkret darum: Was sagt der Text mir? Dabei kann es sich nur um ein konkretes Wort oder einen spezifischen Satzteil handeln. Wiederhole die Worte und lass zu, dass das Wort dich emotional berührt. Gebrauche deine Vorstellungskraft, achte auf Gefühle, Erinnerungen oder innere Bilder, die dir kommen. Schreib deine Gedanken und deine Assoziationen auf, ohne das, was auf deinem Herzen ist, zu filtern oder zu sortieren. 

In deiner Kleingruppe: Nach einer kurzen Erläuterung zur Vorgehensweise in diesem zweiten Schritt geht jeder ins persönliche Gespräch mit Gott. Zeige als Leiter oder Leiterin den Mehrwert auf, der im Niederschreiben liegt, auch wenn das manchen mühselig erscheinen mag. Das Aufschreiben aber hilft uns dabei, innerlich zu entschleunigen, uns zu fokussieren und unsere Gedanken, Gebete und Erkenntnisse besser auszudrücken. Es hilft uns, Ablenkungen zu verringern und lose Gedanken besser benennen zu können. Nach einer festgelegten Zeit (oder wenn du als Leiter merkst, dass die meisten mit diesem Schritt fertig sind) könnt ihr in einen Austausch gehen: Welches Wort, welche Stelle hat die Teilnehmenden bewegt? Jeder kann dabei in seinem Bericht so tief gehen, wie er möchte. Wichtig ist jedoch, dass keiner mit seinen Redeanteilen dominiert.

4. Oratio – Beten (10 min) 

Beim dritten Schritt gehst du ins Gebet mit der Frage: „Gott, was möchtest du mir sagen?“ Warte auf Gottes Antwort und höre einfach zu. Auch hier lohnt es sich, Gottes Antwort niederzuschreiben, und nicht in erster Linie zu bewerten, sondern einfach Gottes Impulsen zu folgen. Bei einer direkten Bewertung würdest du den Kommunikationsfluss unterbrechen. Wenn du dir nicht sicher bist, ob Dinge, die du niedergeschrieben hast, mit der Bibel übereinstimmen, schau später nach und bewerte sie dann.  

Fass im Gebet in eigene Worte, was dich im Gespräch mit Gott und nach seiner Antwort bewegt (Lobpreis, Dank, Bitte, Fürbitte, Bekenntnis, Klage …) oder sprich dir vertraute Worte: Psalmen, andere Gebete, Lieder.

In deiner Kleingruppe: Nach einer kurzen Einleitung zu diesem Schritt geht jeder ins persönliche Gespräch mit Gott (gerne auch hier wieder schriftlich). Nach einer festgelegten Zeit (oder wenn du als Leiter merkst, dass die meisten mit diesem Schritt fertig sind) geht ihr in einen Austausch: Was hat Gott den Teilnehmenden gesagt oder gezeigt? Wie ist er jedem einzelnen begegnet? Schließt gemeinsam mit einem Dankgebet zu Gott ab und geht direkt über zum nächsten Schritt.

5. Contemplatio – Betrachten, Ruhen (5 min) 

Im vierten und letzten Schritt geht es darum, Gott zu betrachten und in seiner Gegenwart zu ruhen. Bleibe eine Weile in der Stille vor Gott: Welches Wort, welches Bild, welches Gefühl klingt in dir nach? Was nimmst du mit? Versuche hier, Gott deine gesamte Aufmerksamkeit (geistig, geistlich und emotional) zu geben und ihn zu empfangen. Das bedeutet: aufnahme- und empfangsbereit für Seine Gegenwart zu sein. Vielleicht hilft dir dabei eine bewusste Konzentration auf deine Atmung, um im Hier und Jetzt und bei Gott zu bleiben.

In deiner Kleingruppe: Es liegt eine unglaubliche Kraft darin, gemeinsam ehrfürchtig, dankbar und mit unserem ganzen Sein vor Gott still zu sein. Auch wenn das dir oder deinen Hauskreis-Teilnehmern zunächst ungewohnt erscheinen mag – es ist, wie so oft, eine Übungssache. Wenn euch 5 Minuten in dieser Phase am Anfang zu lange sind, startet mit 2 Minuten und steigert euch langsam. Du als Leiter oder Leiterin beendest die Zeit mit einem abschließenden Gebet.

6. Vertiefende Wiederholung (während des weiteren Tages- oder Wochenverlaufs)

Dieser Schritt ist keiner, der eigentlich zur Lectio Divina gehört. Er soll dir aber helfen, das Wort Gottes weiter wirken zu lassen. Auf dem Schul- oder Arbeitsweg, während Wartezeiten, beim Duschen, in der Mittagspause oder bei anderen Gelegenheiten, die nicht viel Konzentration erfordern: Lass das Wort, das Gott dir gegeben, hat dich mehr und mehr in Jesus verwandeln. „Kaue“ das Wort den ganzen Tag und vielleicht sogar die ganze Woche über. Lass zu, dass das Wort, das Gott dir gegeben hat, dich innerlich immer mehr verändert – und du mehr wirst wie Jesus. Das Gebet selbst ist nicht die Quelle unserer Veränderung, das ist nur Gott selbst, mit dem wir in Begegnung gehen.

 In deiner Kleingruppe: Erinnert euch bis zu eurem nächsten Treffen gegenseitig, beispielsweise indem ihr Zweierschaften bildet, an das, was Gott eurem jeweiligen Partner zugesagt hat. Es ist so lohnenswert, wenn sich das, was Gott uns zeigt und sagt, in unseren Herzen verfestigt und sich nicht bereits mit dem nächsten unschönen Erlebnis in Luft auflöst.

LECTIO DIVINA  

Mach dich bereit (5 min) 

  • Zur Gewohnheit & Priorität machen 
  • Feste Zeit, festen Ort wählen 
  • Bibelstelle aussuchen (ca. 1-4 Verse) 
  • Still werden (äußerlich und in Gedanken) 
  • Gott um Begegnung bitten 

2. Lectio – Lesen (5 min) 

  • Text bewusst, langsam, mehrfach lesen  
  • Welche Wörter wiederholen sich? Was fällt besonders auf? 

3. Meditatio – Im Herzen bewegen (10 min) 

  • Was sagt mir der Text, das Wort, der Satzteil? 
  • Gedanken und Assoziationen ungefiltert aufschreiben 

 4. Oratio – Beten (10 min) 

  • Im Gebet fragen: „Gott, was möchtest du mir sagen?“  
  • Auf Gottes Antwort warten, einfach zuhören, aufschreiben und in den Dialog mit Gott gehen  

 5. Contemplatio – Betrachten, Ruhen (5 min) 

  • Betrachten und Ruhen in der Stille vor Gott: Was klingt in mir nach? 
  • Gott die gesamte Aufmerksamkeit (geistig, geistlich und emotional) geben und ihn empfangen 

 6. Vertiefende Wiederholung (während des weiteren Tages- oder Wochenverlaufs) 

  • Auf dem Schul- oder Arbeitsweg, bei Wartezeiten, beim Duschen, in der Mittagspause oder bei anderen Gelegenheiten, die nicht viel Konzentration erfordern 
  • Das Wort bewegen, „kauen“ und mich verändern lassen